19. Der Ratsturm

Die Verlängerung der Straße Unter Taschenmacher heißt Bürgerstraße. Der Weg führt uns am Spanischen Bau vorbei zum Rathausplatz. Vor uns erhebt sich ein gewaltiger gotischer Turm, den manche Leute fälschlich für einen Kirchturm halten. Tatsächlich befinden sich deutlich sichtbar im Turmhelm einige Glocken. Kommt man gegen 12 Uhr mittags oder 5 Uhr nachmittags vorbei, so erklingen volkstümliche Lieder. Das Glockenspiel vom Rathausturm ist so populär, daß es sogar in einem Kölschen Volkslied besungen wurde. Welche Melodien auf dem Programm stehen, läßt sich einer Hinweistafel an dem gegenüberliegenden Eckpfeiler des Spanischen Baus entnehmen.

Tatsächlich ist der Ratsturm ein profanes Bauwerk, das man sogar als das älteste deutsche Hochhaus bezeichnen kann. Immerhin ist der sechsgeschossige Bau (zählt man das "Kellergeschoß" mit, das vom tiefer als der Rathausplatz gelegenen Alter Markt aus gesehen ein Vollgeschoß bildet) 61 Meter hoch und überragte damit im Mittelalter alle Häuser und lange Zeit sogar alle Kirchtürme der Stadt! (Erst nachdem der Vierungsturm von Groß St. Martin 1460 mit einem neuen Turmhelm bekrönt worden war - der alte war 1378 niedergebrannt -, war er höher als der Ratsturm.)

Der Turm wurde von 1407 bis 1414 von den Handwerkerzünften errichtet, die damit nicht nur einen Zweckbau, sondern zugleich ein Zeichen ihrer Herrschaft errichten wollten. 1396 hatten sie in einem revolutionären Umsturz die Herrschaft einiger reicher Patrizierfamilien ("Geschlechter") beendet und gemeinsam mit den nicht zum städtischen Patriziat gehörenden Kaufleuten den Verbundbrief verfaßt. Die Vertreter von 22 Gaffeln - politischen Verbänden der Zünfte und Kaufmannsgilden - stellten fortan den Rat der Stadt, und den Bürgern wurden ihre Freiheitsrechte mit Brief und Siegel garantiert. An der Spitze standen zwei Bürgermeister, die jeweils für ein Jahr gewählt wurden. Nach dem Ausscheiden aus ihrem Amt konnten sie erst nach zwei Jahren wiedergewählt werden.

Nach heftigen politischen Auseinandersetzungen wurde 1513 an den Verbundbrief ein Verfassungszusatz angeheftet (transfixum), der Transfixbrief.

Verbund- und Transfixbrief bildeten über Jahrhunderte das "Grundgesetz" der Freien Reichsstadt Köln und gelten als die erste bürgerliche Verfassung Deutschlands. Etwa jeder zehnte Kölner hatte nun ein politisches Mitspracherecht, während vorher nur einige Familien das Sagen hatten. Freilich kann von Demokratie im heutigen Sinne noch nicht die Rede sein.

Der Ratsturm wurde im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört. Ab 1950 begann man, die im unteren Bereich stehengebliebenen Außenwände von Innen mit einem Betonskelett zu sichern. Das Betonskelett wurde bis auf die ursprüngliche Höhe des Turms hochgezogen und schließlich sogar mit einer neuen Helmspitze nach historischem Vorbild bekrönt. Der Bildhauer Elmar Hillebrand schuf die Wetterfahne, die einen Ratsbläser darstellt. 1955 beschloß der Rat die Wiederherstellung des Turms, die bis in die 70er Jahre andauerte.


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