22. St. Ursula

Im obersten Stockwerk des Rathausturmes sind die Heiligen der Stadt dargestellt. Unter ihnen darf natürlich eine der bedeutendsten Schutzpatroninnen Kölns nicht fehlen, die Hl. Ursula, die im 3. Jahrhundert hier das Martyrium erlitten haben soll. Die Figur wurde von der Kreishandwerkerschaft Köln gestiftet und von Rainer Walk gestaltet, der in den 80er Jahren auch den nicht weit von hier am Rhein gelegenen Fischmarktbrunnen geschaffen hat. Die Figur steht auf der dem Dom zugewandten, nördlichen Seite des Turmes auf der linken Ecke.

Ursula ist dargestellt, wie man sie schon sehr früh gerne gezeigt hat: in der Art einer Schutzmantelmadonna. Unter ihrem Mantel verbergen sich jedoch keine Kinder, sondern die sie begleitenden Jungfrauen. In der Hand hält sie, als Zeichen ihres Martyriums, den Pfeil, durch den sie getötet wurde. Ihr Haar umgibt sie wie ein Heiligenschein und auf dem Kopf trägt sie eine Krone, da sie eine Königstochter war.

Im Kölner Stadtwappen finden sich neben den goldenen Kronen der Heiligen Drei Könige auf rotem Grund seit dem 16. Jahrhundert auch elf schwarze "Tropfen" oder "Flammen" auf weißem Grund. Sie stehen für die Hl. Ursula und ihre 11.000 Begleiterinnen. Tatsächlich handelt es sich um schwarze Hermelinschwänze, denn der Legende nach war Ursula bretonische Prinzessin. Und das Wappen der Bretagne besteht aus Hermelinpelz.

Im Mittelalter war sie außerdem die Schutzpatronin der Kölner Tuchhändler und hatte damit große Bedeutung für das Wohlergehen der Stadt, denn der Handel mit Textilien war einer der einträglichsten Wirtschaftszweige in Köln.

 

Der Legende nach war Ursula die fromme Tochter des Königs Maurus. Nun hörte der König von England von ihrer großen Tugend, Weisheit und Schönheit und wollte, daß sie seinen einzigen Sohn, Conanus, heiraten sollte. So reisten Gesandte zum Hofe des Königs Maurus. Als sie merkten, daß der König wenig Lust hatte, seine Tochter mit einem Heiden zu vermählen, ließen sie den höflichen Bitten schwere Drohungen folgen. Da hatte Ursula eine göttliche Eingebung. Sie stellte folgende Bedingungen für eine Heirat: Conanus sollte sich taufen lassen und ihr eine Frist von drei Jahren bis zur Hochzeit gewähren; innerhalb dieser Zeit wollte sie auf eine Pilgerfahrt gehen, bei der sie zehn vom englischen König und ihrem Vater ausgewählte Jungfrauen begleiten würden; ihr und jeder der anderen zehn Jungfrauen sollten sich noch einmal je tausend weitere zugesellen, die sich dann alle zusammen auf Pilgerfahrt nach Rom begeben würden. Da sich Conanus mit den Bedingungen Ursulas einverstanden erklärte, traten die (eigentlich nun sogar mehr als) Elftausend bei günstigem Wind ihre Reise an. In Köln angelangt, erschien Ursula im Traum ein Engel, der ihr auftrug, von Rom nach Köln zurückzukehren, da es ihr bestimmt sei, hier den Märtyrertod zu erleiden. Auch dem Conanus, der inzwischen im christlichen Glauben unterwiesen worden war, erschien ein Engel, der ihm auftrug, er solle seiner Braut entgegenreisen. In Rom schlossen sich unter dem Eindruck der großen Frömmigkeit Ursulas der Papst und noch einige andere dem Pilgerzug an.

Zwei heidnische römische Heerführer fürchteten nun den Siegeszug des Christentums, als sie die gewaltige Pilgerschar sahen. Darum sandten sie Boten zu den Hunnen. Dieser barbarische Volksstamm sollte Ursulas Gesellschaft vor Köln abfangen und töten. Und so geschah es auch. Wie die Wölfe über die Lämmer, so fielen die Hunnen über die frommen Frauen und ihre Gefolgschaft (zu der sich mittlerweile auch der auf den Namen Aetherius getaufte Conanus gesellt hatte) her. Ursula allein überlebte zunächst das Blutbad, weil der Hunnenkönig Attila von ihrer großen Schönheit beeindruckt war. Doch als sie das Angebot, seine Frau zu werden, empört ausschlug, ließ der beleidigte König sie mit einem Pfeil erschießen. Eine weitere Jungfrau, Cordula, hatte das Gemetzel zunächst  überlebt, weil sie sich aus Angst in einem der Schiffe versteckt hatte. Dort blieb sie bis zum andern Tag. Dann hatte auch sie Mut gefaßt, und stellte sich nun ebenfalls dem Märtyrertod. Nach ihrer Ermordung sollen Engelsheere die Hunnen mit Feuer und Schwert von Köln vertrieben haben. Die Kölner sammelten daraufhin die Toten und begruben sie in allen Ehren.

Soweit die gängige Version dieser schönen Legende.

Im 12. Jahrhundert fand man in der Nähe der (erst später gebauten) romanischen Kirche St. Ursula eine Gräberstätte, von der man annahm, es sei die der Hl. Ursula und ihrer Gefährten. Tatsächlich handelte es sich aber, wie wir heute wissen, um ein römisches Gräberfeld.

Es entstand ein ausgesprochener Heiligenkult, in dessen Folge man begann, die zahlreichen Gebeine als Reliqien zu verkaufen. Dieser Verkauf war eigentlich nicht erlaubt, aber die Kölner hatten ein einträgliches Hintertürchen entdeckt: Man brauchte die Knochen nur in ein Reliquiar, einen Reliqienbehälter also, zu legen, und schon hatte der Handel auch den Segen der Kirche. Daraus entwickelte sich ein regelrechter "Exportschlager". Man fertigte aus Holz Mädchenbüsten, die typische "Rheinmädel" darstellten, rundlich, mit rosigen Wangen und oft einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen. Vorne haben diese Büsten eine Öffnung, durch die man die kostbar umhüllten Reliquien sehen konnte. Und besonders liebe Freunde des Kölner Klerus erhielten auch schon einmal eine oder sogar mehrere "ganze" Jungfrauen zum Geschenk!

Nun muß man allerdings auch anmerken, daß diese "Vermarktung" religiöser Schätze nicht nur dem blanken Kommerz diente, sondern auch der Verbreitung der Ursula-Verehrung. Denn das trug wiederum zur Vermehrung des Ruhmes von Köln bei, da hier ja die Stätte des Martyriums und damit das Zentrum der Verehrung liegt.

Erst 1393 setzte der Papst selber dem Treiben der Kölner ein jähes Ende: er verbot auf Bitten des Kölner Stadtrates die weitere Ausfuhr von Ursulareliquien, weil befürchtet wurde, daß die Kölner sonst selbst bald keine mehr hätten. Tatsache ist, daß zu dieser Zeit bereits ca. 12.000 Ursulareliquien in Umlauf waren (von denen heute noch ca. 3.000 existieren).

In der romanischen Kirche St. Ursula, die  über der römischen Gräberstätte erbaut wurde, findet sich eine Inschrift aus frühchristlicher Zeit, die bezeugt, daß an dieser Stelle tatsächlich Jungfrauen das Martyrium erlitten haben. Diese sogenannte Clematius-Inschrift wird heute zusammen mit der Tatsache, daß man bei archäologischen Grabungen schon für das 4. Jahrhundert eine römische Basilika an dieser Stelle nachweisen konnte, im allgemeinen als Beweis dafür gewertet, daß die Legende zumindest auf einen wahren Kern zurückgeht. Ein großer Teil der Geschichte ist allerdings wohl der Phantasie der mittelalterlichen Erzähler zuzuschreiben, denn nicht einmal der Name der Heiligen ist unumstritten. Die heutige Namensgebung rührt wahrscheinlich von der Entdeckung eines frühchristlichen Grabsteins eines achtjährigen Mädchens mit dem Namen Ursula her. Die Anzahl der Heiligen, die ja doch recht erstaunlich ist, geht wahrscheinlich auf einen Lesefehler bei der Entzifferung der auf lateinisch geschriebenen Legende zurück: aus der Abkürzung "M" für "Märtyrerinnen" machte man einfach ein "mille"= "Tausend". (Möglicherweise wurde dieser "Fehler" sogar absichtlich erzeugt, um die  übergroße Anzahl der gefundenen Gebeine zu erklären!)

Ursula wurde und wird  übrigens nicht nur bei uns in Köln, sondern in vielen Ländern dieser Erde verehrt und gehört zu den populärsten Heiligen überhaupt. Das hat sicher zum einen damit zu tun, daß ihre Legende viele Länder berührt, da Ursula gewissermaßen durch halb Europa reiste. Zum anderen ist hier aber auch eine  äußerst romantische, fast balladenhafte Legende entstanden, die mit ihren vielen Identifikationsmöglichkeiten jeden Zuhörer einfach in ihren Bann ziehen muß. Auch die Maler des Mittelalters, und nicht zuletzt die der berühmten Kölner Malerschule des Mittelalters (zu der z.B. Stefan Lochner gehörte) wurden von der Legende inspiriert.

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